Urzeitliche Aufzeichnungen zu den theosophischen Lehren
Auszug aus Gottfried von Puruckers Grundlagen der Esoterischen Philosophie: Die Weisen der alten Zeit hinterließen Aufzeichnungen der inneren Lehre der Religionen jener Völker, unter denen sie lebten. Diese innere Lehre war die Esoterische Philosophie, die Theosophie jener Zeit.
In Hindustan findet sich diese Theosophie in den sogenannten Upanishaden, einem Teil der vedischen Literaturzyklen. Das Wort Upanishaden bedeutet "Geheimlehre oder geheime Lehren". Aufgrund der Upanishaden und anderer Teile der wunderbaren vedischen Literatur schrieben die alten Weisen Indiens den heute so genannten Vedânta - ein zusammengesetztes Sanskritwort, das "das Ende (oder die Vollendung) des Veda" bedeutet, d.h. Belehrung in der endgültigen und vollkommensten Erklärung der Bedeutung der vedischen Lehrsätze.
Im alten Griechenland gab es verschiedene Schulen und verschiedenste Mysterien, und die Theosophie des alten Griechenland wurde sehr geheim gehalten. Sie wurde in den Mysterien und von verschiedenen Lehrern auserwählter Kreise ihren Schülern gelehrt. Einer dieser großen Lehrer war Pythagoras, ein anderer Platon.
Diese Theosophie wurde nach dem Verfall der sogenannten heidnischen Religionen in dem, was heute die "neuplatonische Philosophie" genannt wird, mehr oder weniger klar umrissen und verkörpert. Sie enthält in Wirklichkeit die inneren Lehren von Pythagoras und Platon sowie den inneren Sinn jener mystischen Lehren, die in Griechenland unter dem Namen "Orphische Dichtungen" bekannt waren.
Von der Theosophie Ägyptens gibt es nur spärliche Überreste, wie z.B. in den sogenannten Totenbüchern.
Von der Theosophie des alten Amerika, jenen Kulturreichen der Inkas oder Mayas, ist so gut wie nichts erhalten.
Auch die Theosophie des alten Europa ist verschwunden. Alles, was uns davon geblieben ist, ist eine gewisse Anzahl mystischer Schriften wie die skandinavischen Eddas und die germanischen Bücher, wie sie z.B. in den althochdeutschen und angelsächsischen Sagen vertreten sind.
Ein für jedermann mögliches Studium der Lehren, wie sie in den Upanishaden, in den Totenbüchern, in der neuplantonischen Philosophie, in den skandinavischen Eddas und in anderen Schriften enthalten sind, zeigt, dass sie eine gemeinsame Grundlage und Wahrheit enthalten. Verschiedene Menschen in verschiedenen Zeitaltern lehrten zu verschiedenen Zeiten die gleiche Wahrheit.
Wohl gebrauchten sie verschiedene Worte und Ausdrücke, wohl sprachen sie in verschiedenen Wendungen und Gleichnissen, aber dahinter verborgen war stets die alte Lehre, die "geheime Weisheit".
Die Theosophie der Juden war in dem verkörpert, was später die Kabbala genannt wurde - ein hebräisches Wort, das "empfangen" bedeutet, d.h. sie war die überkommene Lehre, überliefert oder empfangen (nach den eigenen Aussagen der Kabbala) durch die Propheten und Weisen des Judentums. Es hieß von ihr, dass sie zuerst von "Gott, dem Allmächtigen, einer auserwählten Schar von Engeln im Himmel" gelehrt worden ist.
Wenn wir an die Lehren der alten Weisheit herantreten, dürfen wir nicht vergessen, dass die alten Lehrer anthropozentrisch sprachen, dachten und lehrten; d.h., sie alle legten Wert darauf, den psychologischen Gesetzen des menschlichen Gemütes zu folgen, weshalb sie in menschlichen Sprachbildern lehrten und oft seltsame, sehr seltsame Gleichnisse gebrauchten, die aber als Sprachbilder doch außerordentlich lehrreich waren. Wie weise! Denn so konnten sie die alten Lehren weitergeben, und sie taten dies auf solche Weise, dass gerade dieses anthropozentrische System am allerwenigsten die dogmatischen Bestimmungen begünstigte, die in aller Wahrheit das Beste in den Lehren der christlichen Kirche vernichtet haben. Diese bildlichen Ausdrücke, diese Sprachbilder, waren so seltsam, dass das Gemüt fast augenblicklich erkannte, dass sie nur die äußeren Hüllen waren, die die Wahrheit in sich bargen.
Wir wollen nun die Kabbala als ein Beispiel für die Art heranführen, in der die Theosophie - die jüdische - an das Geheimnis herantritt, wie das Unmanifestierte das Manifestierte hervorbringt; wie von dem, was end- und anfanglose Dauer ist, Stoff, Raum im Sinne stofflicher Ausdehnung, sowie Zeit hervorging.
Aber zunächst möchte ich aus einem anderen Sanskritwerk zitieren, aus einer der Upanishaden, der Kena-Upanishad. Darin heißt es über dieses unaussprechliche Geheimnis:
Weder des Auges Blick noch die Sprache, noch das Denken kann es erreichen; wahrlich, wir wissen nicht, noch können wir sagen, wie man es lehren sollte. Es ist verschieden von den Bekannten, es ist jenseits des Unbekannten. So haben wir gehört von den Menschen alter Zeiten, "
Der große Sankârachârya, vielleicht der berühmteste aller indischen Erklärer der Upanishaden und des wunderbar schönen, von ihnen abgeleiteten philosophischen Systems, genannt der Vedânta, sagt in einer Erklärung über die Aitareya-Upanishad:
Das Eine ist, einzig, fern aller Dualität; in ihm sind nicht die vielfachen illusorischen Erscheinungen unwirklicher Körper und Zustände dieses Universums von nur scheinbarer Wirklichkeit. Leidenschaftslos, unbewegt, rein, vollkommen im Frieden, erkennbar nur an dem Mangel an jeglicher Eigenschaftsbezeichnung; unerreichbar durch Wort und Gedanke."
Die Kabbala ist die überlieferte Lehre der Weisen unter den Juden. Sie ist eine wundervolle Lehre. Im Umriss oder im Auszug enthält sie jeden fundamentalen Lehrsatz, jede fundamentale Lehre, die auch die theosophische Weisheitslehre enthält. Die Lehren der Kabbala sind oft in eine recht sonderbare und manchmal ergötzliche Sprache gekleidet; manchmal erhebt sich die Sprache zu wahrer Erhabenheit. Was hat der Sohar, das zweite der großen Bücher, die von der jüdischen Kabbala (das Wort Sohar bedeutet "Glanz") übrig geblieben sind, über die Art zu sagen, in der die jüdischen Bücher studiert werden sollen? Er sagt Folgendes (III, 152 a)
Wehe dem Menschensohn, der sagt, dass die Tora, besonders der Pentateuch oder besser die ersten vier Bücher der Bibel, alltägliche Sprüche und gewöhnliche Erzählungen enthält ...
Jedes Wort des Gesetzes enthält einen erhabenen Sinn und ein himmlisches Geheimnis ...
So wie die spirituellen Engel irdische Gewänder anlegen mussten, als sie auf die Erde herabstiegen, und auf ihr weder hätten bleiben können noch verstanden worden wären, wenn sie nicht solch ein Gewand angelegt hätten, so ist es auch mit dem Gesetz. Das Gewand des Gesetzes sind die Erzählungen ..."
In unseren Tagen, da Modernisten und Fundamentalisten miteinander streiten - und zwar unnötigerweise über exoterische (äußere) Nebensächlichkeiten, über Dinge, die der Ausfluss menschlicher Selbstsucht sind, über die dogmatischen Lehren der christlichen Kirche, von denen jede wahrscheinlich mehr auf die alte, heidnische, esoterische Philosophie zurückgeht -, ist es unendlich schade, dass sie nicht wissen und begreifen, dass die Lehre der Kabbala, wie sie im Sohar steht, wahr ist. Es ist die Lehre unserer geistigen Führer und Lehrer; denn unter jedem Gewand ist das Leben verborgen. So, wie Jesus in Gleichnissen lehrte, so wurde auch die Bibel in bildlichen Ausdrücken und Sprachbildern geschrieben.
Aus alledem ist festzuhalten, dass, wie anfangs bereits beschrieben und erwähnt, die Theosophischen Lehren, die göttlichen Weisheitslehren, zeitalteralte Lehren sind, die in allen großen Kulturen, von deren erhabensten Weisen und Gelehrten, gelehrt wurde.